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Ludwig Kroner

Kölsche Weihnachtsfreude

24 Geschichten und Gerichte

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Für meine Freunde
Per als meus amics

Toni (Köln) und Ignasi (Girona)

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Inhalt

1

Adventskranz und Zimtschnecken

Oma Beates Zimtschnecken

2

Advent 1925 oder: „Et jitt jet Neues in Zint Vrings“

Vanillekipferl

3

Sally alias Fräulein Müller oder: Ein Hund unterm Weihnachtsbaum

Hundekekse Thunfisch/Leberwurst

4

Barbaratag

Barbaratürmchen

5

Barbara 1954

Arme Ritter

6

Der Nikolaus auf dem Rhein

Brathering

7

Der Haftbefehl

Braune Plätzchen nach Martha Lotsch

8

Wurzeln

Rheinischer Sauerbraten

9

PHM J. Schmieder (Markus 12, 41-44)

Spaghetti mit Lauch und Lachs

10

Die Gans Martina

Gebratene Gans in einer Biersoße

11

Die Weihnachtspredigt

Kartoffelsalat

12

Nikolaus

„Original-Schleckermäulchen-Lasagne“

13

Fringsen

Mayonnaise

Roastbeef (rückwärts gebraten) mit Remoulade

14

Das Krippenspiel

Steckrübeneintopf

15

Ramadan 1965

Baklava

16

Holzklau

Bratapfel mit Marzipanfüllung und Vanillesauce

17

Weihnachten 1954

Linseneintopf mal anders (vegan und leicht exotisch)

18

Chanukka

20 Berliner (Sufganiot)

19

Weihnachten 2015

Syrische Falafel

20

Das alte Jahr geht zu Ende oder: Guter Rutsch

Silvester-Punsch

21

Die Heiligen Drei Könige

Speckpfannkuchen

22

Wird Weihnachten in diesem Jahr in Deutschland überhaupt stattfinden können?

Norwegische Lachsroulade

23

Neujahrssegen

Karpfen blau

24

Hans Muff nach „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm

Gebrannte Mandeln aus Hans Muffs Sack

Vorwort

Die klassischen Männerthemen wie Autos und Fußball haben mich schon immer eher kalt gelassen. Vielmehr hat mich seit jeher Geschichte begeistert. Die große Historie, aber auch die kleinen Anekdoten – Geschichten über Menschen, Hunde und Katzen, um das Thema Essen und Trinken und über die Stadt Köln. Ich bin in Köln geboren und fühle mich als Kölner wohl. Als Student habe ich Stadtführungen gemacht, Brauereibesichtigungen organisiert und später als Polizeiseelsorger 15 Jahre lang Domführungen durchgeführt. Köln war für mich immer faszinierend – die 2000-jährige Stadtgeschichte beinhaltet einen enormen Schatz an interessanten Erzählungen, angefangen mit der männermordenden Agrippina, unserer Stadtgründerin, die später selbst ihrem Sohn Nero zum Opfer fiel.

Aber diese Geschichte gehört nicht in die Adventszeit. In dieses Buch gehören Erzählungen wie die über den ersten Adventskranz in Köln, ebenso die Geschichte meiner Hündin Sally oder die der Gans Martina, deren Schicksal kurz vor dem Heiligabend noch eine unverhoffte Wendung nahm. Joseph Kardinal Frings findet genauso seinen Platz in dieser Sammlung wie der poetische Stadtstreicher Herbert. Es gibt eine Geschichte über Polizeibeamte, eine über Mitglieder der Feuerwehr und eine über einen Diebstahl, an dessen Anzeige niemand Interesse hatte.

Einige Erzählungen sind humoristisch, andere lehrreich, wieder andere besinnlich. Ich hoffe jedoch, dass keine langweilig ist. Es sind Geschichten, die ich meinen Enkelinnen erzählen würde, wenn ich welche hätte. Am liebsten würde ich sie beim Essen erzählen, denn zusammen Kochen und Essen ist für mich die Grundlage für die beste Kommunikation. Aus diesem Grund habe ich jeder Geschichte ein passendes Rezept beigelegt. Die Gerichte sind dabei nach zwei Merkmalen ausgesucht: Sie gehören für mich zu der Geschichte – und sie schmecken mir!

Einige Dialoge habe ich auf Kölsch geschrieben. Ich bin mit der kölschen Sprache groß geworden, Hochdeutsch habe ich erst auf dem Gymnasium gelernt. Mein Volksschullehrer kam gebürtig vom Eigelstein und so sprach er auch. Einer seiner Lieblingssätze war: „Jungens, Jesus schreibt man vorne mit „Jot“, und Jott schreibt man vorne mit „Je“.

Auch heute spreche ich noch gerne Kölsch, halte kölsche Predigten und schreibe generell so, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Wenn sie dies für einen Fehler halten, kein Problem – ich habe noch genug andere.

Zu guter Letzt wünsche ich ihnen von Herzen:

„E glöcksillisch Chreskind, nen joden Rutsch un Hals un Beinbruch* für dat neue Johr!“

* s. Geschichte „Guter Rutsch“

Ludwig Kroner

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Adventskranz und Zimtschnecken

Totensonntag war vorbei, nun stand der erste Advent bevor.

Johanna fuhr mit ihren Kindern Paul, Max und der kleinen Marie zum Großvater. Opa Toni, wie ihn die gesamte Familie nannte, wohnte am Stadtrand von Köln und hatte seine Familie eingeladen, in seinem Garten die Zweige für ihren Adventskranz zu schneiden. Gestern erst hatte Johanna im Baumarkt einen Strohrohling und eine Rolle Bindedraht gekauft; sie hatte sich überlegt, den Kranz dieses Jahr aus unterschiedlichen Zweigen wie Fichte, Wacholder und Kiefer zu gestalten.

Was für andere Materialien sie noch hinzunehmen konnte, würde sie vor Ort entscheiden: Opas Garten war für Kölner Verhältnisse nicht nur ziemlich groß, sondern auch artenreich. Aus ihren früheren

Urlaubsreisen hatten Opa Toni und Oma Beate des Öfteren Ableger und Setzlinge der unterschiedlichsten Pflanzen mitgebracht. So wuchsen heute vor ihrer Haustür neben europäischen Nadelgehölzen einträchtig eine Magnolie, ein Ginkgo und Opas Lieblingsbaum, eine mexikanische Hochland-Akazie. Am Revers seiner Jacke trug Opa immer einen Pin mit einem kleinen goldenen Akazienzweig.

Für die ungefähr vierzig Kilometer von Porz-Langel in den Kölner Nordwesten benötigten Johanna und die Kinder heute Nachmittag fast eine Stunde. Als sie endlich eintrafen, hatte die Oma schon den Tisch gedeckt. Der Duft von frischem Kaffee und Kakao erfüllte das Wohnzimmer.

„Die Zimtschnecken sind auch fast fertig. Ich komme gleich“, tönte Oma Beates Stimme aus der Küche. Als sie mit der Platte heißer Zimtschnecken ins Wohnzimmer kam, mischte sich der Teilchenduft mit dem Kaffee- und Kakaoaroma.

Marie lief strahlend auf sie zu und rief:

„Oma, Oma, so riecht Advent!“

„Vorsicht, Mariechen, sonst lasse ich noch die Platte mit den Schnecken fallen.“

„Oma, auf deine Zimtschnecken freue ich mich das ganze Jahr!“, rief Mariechen begeistert. „Aber du backst sie immer nur am 1. Advent. Warum eigentlich? Du könntest sie doch viel öfter backen!“

„Nun setzt euch doch erst mal an den Tisch, sonst werden Kakao und Schnecken kalt.“ Um den Kaffee machte sich Oma Beate keine Sorgen, denn der befand sich in ihrer alten Melitta-Thermohaubenkanne, die sie vor 42 Jahren zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte und die noch immer treu ihren Dienst tat.

Als alle am Tisch saßen, antwortete sie auf die Frage von Mariechen.

„Damals, als eure Mutter noch nicht geboren war, hab ich mit dem Opa einige Tage im Advent in Göteborg verbracht. Dort haben wir eine Freundin besucht, die einen Schweden geheiratet hatte, und von ihr habe ich das Rezept bekommen! Ihr müsst wissen, in Schweden nennt man die Schnecken Kanelbullar. Im Advent erinnere ich mich durch das Backen der Zimtschnecken an diesen Besuch. Da wir sie nur im Advent backen, sind sie für uns etwas Besonderes, auf das wir uns das ganze Jahr freuen.“

Joa, da sähste jet“, pflichtete Opa Toni bei. „Wenn isch im September beim Aldi schon die ezte Dominostein sinn und dä Speckulatius, dann kann isch dat Zeusch an dä Fessdaach schon nit mieh sinn. Als isch klein wor, jov et sojar Appelsine nur em Dezember. Do woden die en Marokko oder Spanien jeerntet un kommen dann met däm Lassware noh Kölle.

Die ezte Appelsin jov et immer bei uns op däm Nikolausteller. Wobei et nit schläsch es, dat et Appelsine hückzedaach et janze Johr jitt, vunwäje de Vitamine.“ [„Da sagste was. Wenn ich im September beim Aldi schon die ersten Dominosteine und den Spekulatius sehe, dann kann ich das Zeug an den Festtagen schon nicht mehr sehen. Als ich klein war, gab es sogar Apfelsinen nur im Dezember. Da wurden die in Marokko oder Spanien geerntet und kamen dann mit dem Lastwagen nach Köln. Die ersten Apfelsinen gab es bei uns immer auf dem Nikolausteller. Wobei es nicht schlecht ist, dass es Apfelsinen heutzutage das ganze Jahr über gibt, der Vitamine wegen.“] Paul hörte seinem Opa zwar aufmerksam zu, betrachtete dabei jedoch auch das Gebilde, das auf einem kleinen Beistelltisch im Wohnzimmer stand und offenbar einen Adventskranz darstellte. Dies schloss er aus den vier Kerzen, die darauf befestigt waren. Der Hauptbestandteil war ein Holzrad mit einem Eisenreifen, welches, wie er wusste, von Opas Bollerwagen stammte.

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„Opa Toni, du hast ja dieses Jahr einen seltsamen Adventskranz gebaut! Hat der Bollerwagen jetzt ein Rad ab? Oder du?“, meinte Paul scherzend.

„Paul, säht mer dat zo singem Besteva? Evver do häs Rääsch, dä Bollerware hätt jetz kein Rädder mieh. Isch han in suwiesu nit mieh jebruch. Us einem vun dä kleine Rädder han isch he dä kleine Kranz met dä vier Käze jemaat. Evver, pass op, us einem vun dä jruße Rädder han isch eine für uns Kirsch met 24 Käze jeschruf! Dä müsse mer uns anluure jon! Dä hät vier jroße Käze un zwanzisch kleene.

Un en die Speische vun däm Radd han isch Zweije vun ener Kiefer und dä aale Tann hinge us dm Jaade jeflochte! Ungen draan han isch dann Kienäppele un Nöss jehange. Jenausu wie domols dä Pastur Wiechers in Hambursch.“ [„Paul, sagt man das zu seinem Opa? Aber du hast Recht, der Bollerwagen hat jetzt keine Räder mehr. Ich hab ihn sowieso nicht mehr gebraucht. Aus einem von den kleinen Rädern hab ich hier den kleinen Kranz mit den vier Kerzen gemacht. Aber, pass auf, aus einem von den großen Rädern hab ich einen für unsere Kirche mit 24 Kerzen gebastelt! Den müssen wir uns anschauen gehen! Der hat vier große und zwanzig kleine Kerzen. Und in die Radspeichen hab ich Zweige einer Kiefer und die unserer alten Tanne hinten im Garten geflochten. Unten dran hab ich dann Zieräpfel und Nüsse gehängt. Genauso wie damals der Pastor Wiechers in Hamburg.“]

„Opa, wer war denn der Pastor Wiechers aus Hamburg?“, unterbrach Max seinen Großvater. „Der, Jung, der hat für üvver 180 Johr die Idee jehatt, für ärme un verloßene Pänz e neu Zehuss zo schaffe! Su hätt hä dat ezte Jurenddörp in Hambursch jejründet. Die wonnten do wie in Familije zesamme! Dat Dörp woot dat „Rute Hus“ jenannt, weil et Backsteinhüser wore. Dursch e ne Üvversetzungsfähler us däm Hamburjer Platt in e Huhdeutsche woot evver dann „Rauhes Haus“ druss.

Die hatte do och en Kirsch. Un für die Kirsch hät dä Pastur für die Pänz ne runde Adventskalender gebaut: Op nem zwei Meter jroße Karrerad hät hä vier jroße Käze für die Sondare un zwanzisch kleene Käze für die Dare en der Woch monteet. Wenn alle vierundzwanzig Käze brannte, wor Hellischovend. Dat jov et dann immer öfter en dä evanjelische Kirsche. Evver met der Zick lot mer die kleene Käze weg, denn dat Dinge wor ze jroß! Un do et einfacher ze maache wor, nohm mer statt nem Karrerad ne Tannekranz. Un esu hat mer die Adventskränz.

Die wullte die Lück dann och ze Huss han. Dä ezte Adventskranz en ene katholischen Kirsch jov et 1925 en Kölle en Zint Frings op dr Fringsstroß, do, wo ming Eldere jeläv han.

Joa, un jetz, Max, jetz weiß do, wä dr Pastur Wiechers es: dä Erfinder vun dä Jurenddörfer – un vum Adventskranz!“ [„Der hat vor über 180 Jahren die Idee gehabt für arme und verlassene Kinder ein neues Zuhause zu schaffen! So hat er das erste Jugenddorf in Hamburg gegründet.

Die wohnten dann wie in Familien zusammen!

Das Dorf wurde das „Rute Hus“ genannt, weil es Backsteinhäuser waren. Durch einen Übersetzungsfehler aus dem Hamburger Platt ins Hochdeutsche wurde es dann zu „Rauhes Haus“.

Dort gab es auch eine Kirche. Und in der Kirche hat der Pastor für die Kinder einen runden Adventskalender gebaut: Auf einem 2 Meter hohen Karrerad hat er vier große Kerzen für die Sonntage und zwanzig kleine Kerzen für die Wochentage montiert. Wenn alle vierundzwanzig Kerzen brannten, war Heiligabend. Das gab es dann immer öfters in den evangelischen Kirchen. Aber mit der Zeit ließ man die kleinen Kerzen weg, da der Kranz zu groß war. Um es einfacher zu machen, nahm man anstatt eines Rads einen Tannenkranz. So kam man zu den Adventskränzen. Die wollten die Leute dann auch zu Hause haben.

Den ersten Adventskranz in einer katholischen Kirche gab es 1925 in Köln in St. Frings auf der Fringsstraße, dort, wo meine Eltern gelebt haben. Ja, Max, jetzt weißt du, wer der Pastor Wiechers gewesen ist: der Erfinder der Jugenddörfer – und des Adventskranz’!“]

Johanna stand vom Tisch auf:

„Ich gehe jetzt in den Garten. Ich muss unseren diesjährigen Adventskranz noch erfinden. Kinder, wie ich Opa kenne, werdet ihr euch bestimmt nicht langweilen.“

Oma Beates Zimtschnecken

Das Rezept hat sie vor 30 Jahren aus einem Schwedenurlaub mitgebracht.

ZUTATEN

für 6 Portionen

50 g frische Hefe

½ l Milch

2 Eier

220 g Zucker

2 TL Salz

1 EL Kardamom

900 g Mehl

400 g Butter

2 TL Zimt

Gehobelte Mandeln

Hagelzucker

1. Die Hefe in lauwarmer Milch auflösen. Ein Ei, 60 g Zucker, Salz, Kardamom, einen Teil Mehl und 250 g weiche Butter dazugeben und vermischen. Danach das restliche Mehl hinzufügen.

2. Den Teig gut durchkneten und an einem warmen Ort abgedeckt gehen lassen, bis sich das Volumen verdoppelt hat.

3. Den aufgegangenen Teig noch einmal gut durchkneten, damit er feinporig wird.

Den Teig zu einer ca. 1 cm dicken, rechteckigen Platte ausrollen. Diese mit weicher Butter bestreichen und den Rest Zucker und Zimt darüber streuen. Die Teigplatte aufrollen und schräg aufschneiden. Nochmals an einem zugfreien Ort gehen lassen. Die aufgegangenen Zimtschnecken mit geschlagenem Ei bestreichen und mit Mandelsplittern und Hagelzucker bestreuen. Bei 250°C ca. 10-15 Minuten goldbraun backen.

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Advent 1925 oder:
„Et jitt jet Neues in Zint Vrings“

Es war Samstag, der 28. November 1925. In Köln ging es langsam wieder aufwärts. Die schlimmsten Kriegsfolgen hatten die Bewohner der Rheinmetropole überwunden. Zwar hatte die Hyperinflation nach Kriegsende die Kölner schwer gebeutelt, und manches stattliche Vermögen war wie Sand in einer Eieruhr verronnen – doch so schnell gab ein Rheinländer nicht auf. Die Kölner Kaufleute hatten es in den letzten 800 Jahren immer wieder geschafft, alle Krisen zu meistern; selbst aus dem 30-jährigen Krieg war die Stadt beinahe unversehrt hervorgegangen.

„Et hät noch immer jot jejange.“ So lautete das Motto schon seit jeher.

Und so erfreuten sich die Kölner an der wirtschaftlichen Erholung und genossen die neue außenpolitische Wertschätzung. In einigen Kölner Tanzgaststätten spielten die neuen Phonoautomaten den Charleston, den Josephine Baker erst diesen Sommer in Europa bekanntgemacht hatte. Die jungen Frauen trugen Kurzhaarfrisuren und – man feierte wieder! Es waren die Roaring Twenties. Die Wilden Zwanziger.

Heute jedoch ging es ruhiger zu. Es war der Samstag vor dem ersten Advent.

In einer Stunde begann der erste Adventsgottesdienst in Sankt Severin. Sibilla Langel hatte sich mit Gertrud Roth, ihrer Freundin aus Kindertagen, am Klösterchen in der Jakobstraße verabredet, um gemeinsam den ersten Gottesdienst des neuen Kirchenjahres zu besuchen. Viele Hausfrauen nutzten die Vorabendmesse, um am Sonntagmorgen, wenn der Vater mit den Kindern in die Kirche ging, Zeit für die Zubereitung des Mittagessens zu haben. Oft kamen die Kinder dann aber alleine nach Hause, weil die Väter es sich nicht nehmen ließen, noch in einer der vielen Kneipen auf der Severinstraße zum Frühschoppen einzukehren.

Erst kurz vor dem Mittagessen wurde dann meist eins der Kinder losgeschickt, „den Papa holen“, denn beim Frühschoppen vergaßen viele die Zeit – obwohl die Taschenuhr, die zum Sonntagsanzug getragen wurde, genaue Auskunft gegeben hätte und auch die Uhr von Sankt Severin jede Viertelstunde mit ihren Glockenschlägen lautstark die Zeit verkündete.

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Auf dem Weg von der Jakobstraße zur Kirche waren Sibilla und Gertrud mit Feuereifer in ein Thema verwickelt, das ihnen keine Ruhe ließ. Die Frau des Küsters hatte eine Anspielung gemacht, es würde in der diesjährigen Adventsmesse eine große Überraschung geben. Was konnte das nur sein?

„Billa, häs du en Idee, wat dat Küsters Urschel gemeint han künnt? Han mer neue Kreppefijure?“ [„Billa, hast du eine Idee, was die Ursel vom Küster gemeint haben könnte? Haben wir neue Krippenfiguren?“]

„Trudi, isch weiß et och nit. Et wor nix us däm Urschel erus ze kitzele. Et saat nur, dä Pastuur hät im usdrücklisch verbodde, jät drüvver ze saare.“ [„Trudi, ich weiß es auch nicht. Es war nichts aus der Ursel herauszukitzeln. Sie sagte nur, dass der Pastor ihr ausdrücklich verboten hätte, darüber zu reden.“]

Tratschend erreichten die Frauen die Kirche. Obwohl die Messe noch längst nicht begonnen hatte, waren besonders auf der linken Seite, auf der traditionell die Frauen saßen, nur noch wenige Plätze frei. 1925, als der Besuch der Messe noch etwas Selbstverständliches war, hatten die meisten Gemeindeglieder in der Kirche noch ihren Stammplatz – und so gingen Billa und Trudi links vorbei bis zur dritten Reihe, wo sie jeden Samstag saßen.

Schräg vor ihnen war der Platz von Elisabeth Neuhoff, einer Nachbarin aus der Karthäusergasse, deren Mann im Kirchenvorstand war. Billa deutete auf Bettis Hut und tuschelte: „Trudi, luur ens dä Kompotthoot vun dem Betty. Die Federe an dä Kremp, dat es jetz et Allerneuste. Dä Titze Leienard hät die zick dä letzte Woch. Do kom it och jrad vum Frisör, met däm neue Bubykopp. Die koote Hoor stonn im jo üvverhop nit. Isch gläuv, wenn isch su noh Hus köm, minge Mann wöd misch met däm Besem dursch et Huus jare. Ungerm Mantel hätt dat och bestemp e kot Kleid an. Wat et hück ze Daach nit alles jitt …“ [„Trudi, schau dir den Kompotthut von der Betty an. Die Federn an der Krempe, die sind jetzt das Allerneuste.

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